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Moralische Urteile beruhen häufig auf dem Bauchgefühl

Einerseits ist es wichtig, auf die die eigenen Gefühle zu achten und sie grundsätzlich ernst zu nehmen. Andererseits ist man manchmal wesentlich stärker von Emotionen beeinflusst als man denkt. Der Sozialpsychologe Jonathan Haidt hat beispielsweise gezeigt, dass die eigenen moralischen Urteile häufiger auf „Bauchgefühlen“ beruhen, auch wenn man glaubt, sich höchst rational mit einem Thema auseinandergesetzt zu haben. Jonathan Haidt beschreibt verschiedene Basismotive, die dem moralischen Empfinden von Menschen zugrunde liegen. Judith Glück kennt sie: „Auf der einen Seite sind das Motive wie Fürsorge für Schwächere und das Bedürfnis nach Gerechtigkeit, auf der anderen Seite haben viele Menschen ein Bedürfnis, die Angehörigen der eigenen Gruppe gegenüber anderen zu bevorzugen und sie vor Gefahren zu schützen.“ Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Die Emotionen verändern sich im Verlauf des Lebens

Interessanterweise verändert sich der Umgang mit Emotionen bei den meisten Menschen im Laufe ihres Lebens. Ältere Menschen lächeln oft ein wenig darüber, wie sehr sich junge Leute über Dinge aufregen können, die doch nicht zu ändern sind. Junge Menschen dagegen finden manchmal die Kompromisse und Grauzonen, in denen sich ihre Eltern eigerichtet haben, schwer zu ertragen. Die Psychologin Laura L. Carstensen von der Stanford University hat eine interessante Theorie dazu entwickelt, warum Menschen in unterschiedlichen Lebensphasen auch unterschiedlich mit Gefühlen umgehen.

Sie vertritt die These, dass es einen Zusammenhang mit der noch verbleibenden Lebenszeit gibt. Junge Menschen haben im Allgmeinen das Gefühl, dass noch sehr viel, fast unendlich viel Leben vor ihnen liegt. Ihr bewusstes oder unbewusstes Ziel ist es, dieses Leben zu gestalten. Sie versuchen herauszufinden, was gut für sie ist, und probieren zu diesem Zweck viel aus. Dabei machen sie auch unangenehme Erfahrungen, und es ist wichtig und sinnvoll, das sie den negativen Gefühlen, die dabei entstehen, Aufmerksamkeit schenken, um mit der Zeit herauszufinden, wie sie leben wollen.

Ältere Menschen wollen die Gegenwart genießen

Ältere Menschen sind in einer anderen Situation. Judith Glück erklärt: „Der verbleibende Teil ihres Lebens ist kürzer als der bereits hinter ihnen liegende. Auch wenn sie annehmen, noch relativ viele Jahre vor sich zu haben, ist doch klar, dass das Lebensende langsam näher rückt.“ Die berufliche Laufbahn endet, ältere Freunde und Bekannte beginnen gesundheitliche Probleme zu bekommen, und man selbst ist bei manchen körperlichen Beschwerden nicht mehr wie früher überzeugt, dass sie sich restlos heilen lassen.

Die eigene Lebensweise und die Menschen, denen man nahesteht, sind zu einem großen Teil festgelegt. Der Fokus liegt dann nicht länger auf dem Aufbauen einer Zukunft, sondern auf dem Aufrechterhalten des Bestehenden und zunehmend auch dem Annehmen von Verlusten. Laura L. Carstensen argumentiert, dass sich durch diese Veränderung der Perspektive auch der Umgang mit Gefühlen verändert. Wer seine Zeit als begrenzt wahrnimmt, der möchte die Gegenwart genießen. Deswegen fokussieren ältere Menschen ihre Ziele, Aktivitäten und auch ihren Umgang mit Gefühlen anders als jüngere. Quelle: „Weisheit“ von Judith Glück

Von Hans Klumbies

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