Im Alltag dominiert Kooperation
Fast alle Menschen haben ein elementares Bedürfnis nach sozialer Einbindung. Sie suchen die Aufmerksamkeit, Anerkennung und die Unterstützung anderer. Sie möchten Freundschaften und Liebesbeziehungen entwickeln. Hans-Peter Nolting erklärt: „Größtenteils funktioniert das nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Das ist ähnlich wie bei einem Großteil des aggressiven Verhaltens.“ Um freundlich behandelt zu werden, verhält man sich am besten selber freundlich. Auch gesamtgesellschaftlich gesehen funktioniert ein System viel besser durch vertrauensvolle Beziehungen. Dabei dominieren Kooperation und Unterstützung als das Bemühen, anderen zu schaden. Es gibt allerdings ein großes Aber: Eben diese positiven Verhaltensweisen, die den Zusammenhalt und das Wohlbefinden einer Gesellschaft fördern, lassen sich leider unter Umständen auch dazu benutzen, eine andere Gemeinschaft zu bekämpfen. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.
Aggressionen lassen sich vermeiden
Hans-Peter Nolting ergänzt: „Verantwortungsbewusstsein, Freundlichkeit, Kooperation und Hilfeleistung gelten dann nur der eigenen Gruppierung. Aber für den Angehörigen der Fremdgruppe gelten sie nicht.“ Das positive Verhalten in der Binnengruppe kann vielmehr gerade dazu dienen, das eigene Lager stark zu machen für die Auseinandersetzung mit dem Konkurrenten. Dennoch: Die Motive für kooperatives und rücksichtsvolles Verhalten dürften im alltäglichen Leben bei vielen Menschen sehr dominieren. Dadurch verspüren sie aggressive Tendenzen nur selten – aber manchmal eben doch!
Wohl jedem Menschen ist hin und wieder danach zumute, andere anzuschreien und rauszuwerfen. Oder sie keines Blickes zu würdigen oder sich von ihnen mit dem Götz-Zitat zu verabschieden. Wenn man es dann doch nicht tut, heißt das: Man ist einerseits motiviert, sich aggressiv zu zeigen. Und andererseits will man genau dies vermeiden. Setzt sich die Tendenz zur Vermeidung durch, bleibt man vielleicht stumm. Um jetzt ja kein falsches Wort zu sagen und bemüht sich um aufgesetzte Höflichkeit oder zieht sich aus der Situation zurück.
Es gibt drei Arten der Aggressionshemmung
Die Motive der Vermeidung bezeichnet man auch als Aggressionshemmung. Dabei lassen sich laut Hans-Peter Nolting drei Arten unterscheiden: „Angst vor negativen Folgen, moralische Hemmungen und physischer Widerwille.“ Die Angst vor negativen Folgen verspürt man oft im alltäglichen Miteinander. Gewöhnlich möchte man unmittelbare negative Reaktion wie etwa böse Blicke, Missstimmungen oder heftige Gegenreaktionen vermeiden. Als dies würde man wie eine „Bestrafung“ empfinden.
Aggressives Verhalten unterdrückt man vor allem gegenüber Vorgesetzten und anderen Personen, von denen man abhängig ist oder die noch aggressiver zurückschlagen könnten. In anderen Fällen befürchtet man, eine wichtige persönliche Beziehung aufs Spiel zu setzen. Deutlich geringer sind solche angstbedingten Hemmungen gegenüber schwachen, abhängigen und machtlosen Personen. Doch auch in dieser Konstellation kann man Hemmungen der Aggression empfinden. Hier manifestieren sich moralische Hemmungen, das heißt Einstellungen, die besagen: Füge anderen nichts Unangenehmes zu, verhalte dich rücksichtsvoll. Quelle: „Psychologie der Aggression“ von Hans-Peter Nolting
Von Hans Klumbies