Alle Menschen sind Opfer eines Macht-Paradoxes
Es ist der Gemeinsinn und nicht die Ellenbogen, die den Menschen Macht verleihen. Doch sobald sie die Macht haben und ihren Verführungen erliegen, geht ihnen die soziale Kompetenz schnell wieder verloren. Der renommierte amerikanische Psychologe Dacher Keltner sagt, dass alle Menschen Opfer dieses Macht-Paradoxes sind. In seinem neuen Buch „Das Macht-Paradox“ zeigt er, wie die Verhältnisse der Macht jeden Winkel des sozialen Lebens bestimmen. Nur wer sich dies vor Augen führt, kann das Macht-Paradox auflösen. Damit die „Guten“ nicht nur an die Macht kommen, sondern empathisch bleiben und sie behalten. In seinem Buch geht es Dacher Keltern um einen Zusammenhang des sozialen Lebens, der das alltägliche Miteinander ausmacht und bestimmt, worauf das Leben letzten Endes hinausläuft. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.
Durch Machtmissbrauch geht die Macht wieder verloren
Dacher Keltern erklärt: „Das Macht-Paradox besteht in Folgendem: Wenn unsere Macht und unser Einfluss zunehmen, versuchen wir, mit den besten Fähigkeiten, die unsere menschliche Natur zu bieten hat, etwas zu bewirken und in der Welt zu verändern. […] Aber wir verlieren die Macht wieder aufgrund unserer schlimmsten Fähigkeit: In einer paradoxen Wende verleitet uns das Bewusstsein, über Macht und Privilegien zu verfügen, zu Machtmissbrauch.“ In diesen dunkelsten Momenten ähnelt das Verhalten dann dem triebgesteuerten Soziopathen, der außer Kontrolle geraten sind.
Wie der einzelne Mensch mit diesem Macht-Paradox umgeht, bestimmt sein persönliches Leben und sein Verhalten bei der Arbeit und entscheidet letztlich, wie glücklich er un die Menschen sind, für die er sorgt. Eine sich langsam aufbauende Wirkung der Macht formt die Verhaltensmuster, die der Familie, dem sozialen Umfeld und dem Arbeitsplatz die Struktur geben. Macht bestimmt aber auch die größeren Strukturen sozialer Organisationen, also die Gesellschaft als Ganze mit all ihren aktuellen politischen Kämpfen.
Niccolò Machiavelli hat das Verständnis von Macht nachhaltig bestimmt
Dacher Keltner klagt an: „Macht und Machtmissbrauch sind verantwortlich für sexuelle Gewalt, Missachtung und Diskriminierung von Minderheiten, systembedingte Armut und gesellschaftliche Ungleichheit.“ Mit dem Macht-Paradox gut umgehen zu können, ist grundlegend für die Gesundheit einer Gesellschaft. Um das Macht-Paradox zu überlisten, muss man erst einmal wissen, was Macht überhaupt ist. Das Machtverständnis der westlichen Kultur wurde tief und nachhaltig von einer einzigen Person bestimmt: dem Florentiner Niccolò Machiavelli.
Niccolò Machiavelli argumentiert in seinem Buch „Il Principe“ (Der Fürst), dass Macht im Wesentlichen mit Stärke, Betrug, Unbarmherzigkeit und strategischer Gewalt zu tun hat. Dieses Bild der Macht lässt sich laut Dacher Keltner bei sorgfältiger Analyse heute nicht mehr halten, denn es kann viele wichtigen Entwicklungen in der Geschichte der Menschheit nicht erklären – wie zum Beispiel die Abschaffung der Sklaverei, den Sturz von Diktatoren oder den Aufstieg der Bürgerrechte und der Rechte der Frauen. Am entscheidendsten ist aber vermutlich, dass die Gleichsetzung von Macht mit Gewalt und Betrug die Menschen blind dafür macht, wie sehr Macht in ihrem Alltag verbreitet ist und ihr Miteinander bestimmt.
Das Macht-Paradox
Wie wir Einfluss gewinnen – oder verlieren
Dacher Keltner
Verlag: Campus
Gebundene Ausgabe: 203 Seiten, Auflage: 2016
ISBN: 978-3-593-39907-2, 22,95 Euro
Von Hans Klumbies