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Reinhard K. Sprenger deckt die Schattenseite der Vorbilder auf

Es gibt einen Trick, Menschen vom Steuer ihres Lebensautos auf die Rückbank zu drängen: das Gerede von Vorbildern. Während einerseits von Selbstständigkeit, Eigenverantwortung und Unternehmergeist gefordert werden, heißt es andererseits: „Wir brauchen wieder Vorbilder!“ Reinhard K. Sprenger stellt fest: „Überall werden – häufig mit den besten Absichten – Modelle von Tugend, Moral und Werten öffentlich gefordert und gegen gesellschaftlichen Werteverfall und wirtschaftliche Schieflagen aufgeboten.“ Eine vom Ideal der Vorbilder – gleich welcher Art – geprägte Kultur unterscheidet zwischen denen, die nachahmenswerte Eigenschaften aufweisen, und jenen, die sich diese aneignen sollten. Reinhard K. Sprenger spricht Klartext: „Es gibt offensichtlich viele Menschen, die ein Vorbild zum Nacheifern brauchen oder denen man ein Vorbild meint geben zu müssen.“ Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

Vorbilder behindern das eigene Denken

Die Rede vom Vorbild disqualifiziert allerdings einen Teil der Gesellschaft – den größten – als eines Vorbilds bedürftig. Psychologisch richtet sich das Vorbild einer gütigen Elternrolle an das angepasste Kind in uns. Im Privaten ist man so oft genau das geworden, was man am wenigsten sein wollte: Das Abbild der Eltern. Der Gedanke des Vorbildes kommt schließlich auch aus dem Erziehungskontext, aus der Erziehung unmündiger Kinder. Sie sollen lernen, ihr Handeln nach Werten auszurichten, die andere für sie festgesetzt haben, nach Maßstäben, die andere für sie aufstellten.

Nun reifen viele kalendarisch erwachsene Menschen niemals über das Stadium des Nachdenkens hinaus. Mit einem Vorbild an der Hand besteht ja auch keine Notwendigkeit, mühevoll herauszufinden, was man selbst eigentlich denkt. Reinhard K. Sprenger ergänzt: „Kein Abwägen von Vor- und Nachteilen, keine Rechtfertigung des Inhalts, der Ziele oder der Überzeugung ist hier nötig. Nur die Empfehlung zur Imitation.“ Das zu machen, was andere vormachen, verleiht Sicherheit. Es ist aber wieder die Sicherheit des Kindes. So sind viele Junggebliebenen einfach nur stehen geblieben.

Das Vorbild bezieht seine Stärke aus der Schwäche seiner Hinterherläufer

Wenn ein Mensch einen vorgegebenen Kanon des Vorbildlichen anerkennt, dann lässt er zu, dass mit ihm wie mit einem Kind umgegangen wird. Und wenn man selbst jemanden zum Vorbild kürt, infantilisiert man sich selbst, stuft sich zum Halbwüchsigen zurück und gibt seine Eigenschaft des Erwachsenseins ab. Die Betonung des Vorbildlichen ist das Kainsmal der Unreife. Das Vorbild bezieht seine Existenzberechtigung wesentlich aus der Schwäche seiner Hinterherläufer. Denn die Größe des anderen besteht darin, dass der andere ihm seine Kleinheit als Geschenk darbringt.

Das Vorbildliche des einen reicht nicht; der andere muss ihm erst eine Mangelhaftigkeit zu Füßen legen, damit das Vorbild sichtbar wird. Manche erscheinen nur deshalb so groß, weil die anderen sich ducken. Der Schweizer Lyriker und Erzähler Robert Walser schreibt: „Die Großen sind nicht durch sich selbst groß, sondern durch die anderen, durch alle die, denen es ein Entzücken bereitet, sie als groß zu erklären. Durch vieler Leute Würdelosigkeit entsteht diese eine überragenden Ehre und Würde. Durch vieler Leute Kleinheit und Feigheit entsteht diese auf einem Punkt aufgehäufte Summe von Größe und durch vieler Leute Verzicht auf Macht diese gewaltige Macht. Ohne Gehorsam ist der Befehlshaber und ohne Diener ist der Herr nicht möglich.“ Quelle: „Die Entscheidung liegt bei dir!“ von Reinhard K. Sprenger

Von Hans Klumbies

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