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Nur wenige können ihre Lebensphilosophie klar formulieren

Der Soziologieprofessor Gerhard Schulze erklärt: „Das Wissen um die normativen Botschaften stilistischer Elemente bleibt im Alltagsleben fast immer unterhalb der Ebene des Bewusstseins und des expliziten sprachlichen Ausdrucks. Im Stil werden Lebensphilosophien zur unterschwellig gespürten Atmosphäre.“ Er spricht damit die unbewussten Imitationen an, die alle Menschen vollführen. Rotraud A. Perner ergänzt: „Außer wir üben uns in Selbstwahrnehmung, dann fällt einem oft auf, wen man gerade nachspielt.“ Gerhard Schulze fährt fort: „Stilsyndrome wie Rocker, Alternative, Familienväter, Hausfrauen, Emanzen, Bankangestellte, Yuppies oder aus der Mode gekommene Figuren wie Hippies, 68er, Halbstarke, Salonlöwen – sie alle haben auch die Bedeutung verschiedener Lebensphilosophien.“ Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und absolvierte postgraduale Studien in Soziologie und evangelischer Theologie. Eines ihrer aktuellen Bücher heißt „Die reuelose Gesellschaft“ und ist im Residenz Verlag erschienen.

Stilsyndrome der Herrschaft und Überlegenheit dominieren

Wenn Rotraud A. Perner nachsinnt, welche solcher Stilsyndrome gegenwärtig medial präsentiert werden, fällt ihr auf, dass Formen von Überlegenheit und Herrschaft dominieren und Wertschätzung erfahren, während die, als Gegenbilder eher belächelten, Formen des Verzichts auf Macht oder auch Protestes dagegen nur zum Kontrast und nur als Randerscheinungen vorkommen. Und ihr fällt auf, dass zumindest derzeit Personen fehlen, die, ohne Wahlkampfreden zu halten, klar Position zu ihrer Verantwortung beziehen.

Für die Medienleute dagegen ist es fast schon zum Sport geworden, mit Rücktrittsforderungen, egal wie berechtigt oder unberechtigt diese sind, Verantwortung einzufordern. Gerhard Schulze weist auf die üblichen Abwehrhaltungen hin, die damit verbunden sind: „Für andere mögen diese Lebensphilosophien unverständlich bleiben; oft wird das Verständnis durch Mauern der Distinktion geradezu verweigert. Aber die Insider spüren, welche Werte sie symbolisch ausdrücken, wenn auch nur wenige in der Lage sind, auf Anhieb ihre Lebensphilosophie klar zu formulieren.“

Vertikale Mobilität wird medial vorbildhaft präsentiert

Wenn Rotraud A. Perner sucht, welche Personen medial vorbildhaft präsentiert werden, kann man die derzeit dominierenden Werte erkennen: „Vertikale Mobilität, das bedeutet im jeweiligen System an die Spitze zu kommen, und Beharrungsvermögen, also gegen Angriffe siegreich zu bleiben.“ Wenn man untersucht, auf welchen Wegen Spitzenleute zur Darstellung gelangen, dann werden diese Wege entweder von eigenen Öffentlichkeitsarbeitern geebnet oder die Personen stehen in einem Wettkampf um Führungsämter und sind Teil der Tagesberichterstattung.

Aufgrund von Leistung oder Persönlichkeit allein wird kaum jemand vorgestellt – außer in einer Serie beispielsweise über bestimmte Berufe oder Krankheiten werden passende Zeugen gesucht oder jemand rebelliert gegen Autoritäten, bevorzugt die römisch-katholische Kirche, denn dann kann man sich von eigenen Bedürfnissen des Widerstands reinigen. Zur ultimativen Aufklärung zählt Rotraud A. Perner nicht nur das Nachforschen, wer aus bestimmten Aktionen und Konstellationen welchen Gewinn ziehen will und wird, sondern auch, welche Werte damit verwirklicht werden. Quelle: „Die reuelose Gesellschaft“ von Rotraud A. Perner

Von Hans Klumbies

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