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Gewohnheiten bergen Stärken und Schwächen

Neben der sozialen Dimension von Gewohnheiten ist auch eine politische anzusprechen, denn Gewohnheiten hängen auch mit dem Aspekt der Macht zusammen. Denn Gewohnheiten können aufgezwungen sein, Veränderungen von Gewohnheiten können mit Macht durchgesetzt werden. Die „Kolonisierung des Geistes“ wurde als eine tiefer gehende Form der äußeren Kolonisierung beschrieben, als eine Veränderung der Denk- und Wahrnehmungsgewohnheiten, die Menschen in den kolonisierten Ländern dazu brachte, von sich selbst minderwertig zu denken. Ähnlich beschreibt der französische Soziologe Etienne Renault das Phänomen, dass Menschen, die trotz Einsatz und Qualifikation keinen Arbeitsplatz finden, sich selbst daran die Schuld geben – auch das hat mit Denkgewohnheiten zu tun. Clemens Sedmak ergänzt: „Machtvoll kann aber auch in sichtbare Alltagsgewohnheiten eingegriffen werden.“  Der österreichische Philosoph Clemens Sedmak hat neben anderen Aufgaben eine Professur am Londoner King´s College inne.

Gewohnheiten erzählen von der Geschichte eines Menschen

Die Kulturrevolution in China richtete sich beispielsweise gegen vier Relikte: gegen alte Kultur, altes Gedankengut, aber auch alte Gebräuche und alte Gewohnheiten. Diese vier Relikte wurden systematisch vernichtet. Clemens Sedmak nennt Beispiele: „Bücher wurden verbrannt, Kleidungsstücke zerstört. Gewohnheiten ausradiert. Muschelessen galt als bürgerlich, das Tragen von Haarknoten wurde verboten.“ Unzählige Gewohnheiten wurden in China unter Druck, mit Gewalt, aus Angst verändert.

Gewohnheiten stehen für etwas, sind symbolisch, erzählen von einem Menschen und seiner Geschichte. Menschen gehen gewohnheitsmäßig an Orte, die sie als gut erfahren. Darin liegt eine Schwächung, aber auch eine mögliche Stärkung. Clemens Sedmak erläutert: „Die Arbeit mit Gewohnheiten ist damit stets ein Arbeiten mit Stärken wie mit Schwächen, die ineinander übergehen können – so wie eine gefestigte Gewohnheit in Abhängigkeit oder Flexibilität in Haltlosigkeit übergehen kann.“

Gewohnheiten schaffen Ordnung

Gewohnheiten sagen etwas über die gesamte Lebenssituation eines Menschen aus. Wenn Menschen an ihren Gewohnheiten arbeiten, arbeiten sie auch mit ihrer Geschichte, an ihrem Gedächtnis, leisten sie auch Vergangenheitsbewältigung. Menschen können mit Blick auf ihre Gewohnheiten die Frage stellen: „Was sagt diese Gewohnheit über mich?“ Søren Kierkegaard hat in seiner Darstellung des zu exklusiver und anhaltender Liebe unfähigen Don Juan den Hunger nach Neuem und die Angst vor Langeweile als Motive genannt.

Hier beschreibt Søren Kierkegaard einen Menschen, der „ästhetisch“ lebt und stets nach Neuem aus ist. Ein Leben ohne Gewohnheiten wird nicht paradiesisch sein; ein Leben, das nur von Gewohnheiten bestimmt ist, allerdings auch nicht. Clemens Sedmak erklärt: „Gewohnheiten strukturieren und schaffen Ordnung – und damit einen Sinn für Vertrautes, Selbstverständliches, Wiedererkennbares, Regelmäßiges. Diese Ordnung muss also auch einen Aspekt des Offenen, des Möglichen, des Neuen, des Geheimnisvollen, des Erforschbaren, des Unbekannten, des Nichtvertrauten aufweisen.“ Quelle: „Jeder Tag hat viele Leben“ von Clemens Sedmak

Von Hans Klumbies

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